Therapiemarathon

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Ende gut, alles (fast) gut.

„Wenn Du mal die Chemo hinter Dir hast, kann es nur besser werden.“ Pustekuchen. Die letzten Wochen der Strahlentherapie waren ein Marathon.

Durchhalten um jeden Preis.

Immer wenn ich Freunde sehe, die mich ein paar Wochen nicht gesehen habe, dann höre ich meistens ein:

Wow, deine Haare – du siehst ja toll aus!

Was kaum einer ahnt, ich fühle mich ehrlich gesagt nicht so toll. Die letzten Wochen waren eine echte Herausforderung. Teilweise habe ich mich schlechter gefühlt, als während der Chemo. Meine Nerven lagen blank. Hitzewallungen und Schüttelfrost im 30 Minuten Takt, Schlafstörungen, eine absolute Müdigkeit, dazu jeden Tag Bestrahlung, inklusive Pflasterallergie, obwohl das Pflaster eigentlich die Haut schützen sollte, dazu die Hitze, Gelenkschmerzen, Kurzatmigkeit und eine absolute Erschöpfung. Ich könnte noch ein paar weitere Nebenwirkungen aufzählen, die mich in Summe einfach zu einem Nervenbündel haben werden lassen.

Depression oder Erschöpfung?

Ich bin bei mehreren Ärzten in Tränen ausgebrochen. Meiner Psychologin habe ich während einer Therapiesitzung einfach eine halbe Stunde nur noch etwas vorgeheult und konnte mich nicht mehr beruhigen. Meine Frauenärztin meinte sehr mitfühlend, ich solle Geduld haben. Das wird schon wieder und die Erholung braucht Zeit. Meine Hausärztin sagt mir bei einer Blutkontrolle, in der es darum ging, ob die Covid Impfung überhaupt sinnvoll ist, wenn die Leukozyten so am Boden sind, es würde ab der AHB wahrscheinlich erst wieder bergauf gehen. Meine Psychologin kam zu der Empfehlung, ich sollte eventuell doch ein Antidepressivum einnehmen, denn mein Serotonin Level könnte nach der ganzen Therapie Zeit etwas aufgebraucht sein. Nach Rücksprache mit meiner Frauen- und Hausärztin und auch einer neuer Onkologin kamen alle vier Ärztinnen zu der Empfehlung, dass ich für eine gewisse Zeit doch Venlafaxin nehmen sollte. Bei diesem Antidepressivum handelt es sich um ein Medikament, das als selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer seine Wirkung im Zentralnervensystem entfaltet. Dieses Medikament wird bei Depressionen und Angststörungen eingesetzt und kann gleichzeitig auch bei Wechseljahresbeschwerden helfen. Mit dem Rezept stand ich dann in der Apotheke und dachte, vielleicht hilft mir das ja weiter!

Der nette Apotheker fragte mich, welche Tabletten ich denn sonst noch so nehmen würde. Als er hörte, dass ich Tamoxifen, als Antihormontherapie, zu mir nehmen würde, sagt er: „Moment! Ich habe da etwas für Sie. Es gibt eine Studie, wenn auch nicht hunderprozentig evaluiert, die besagt, dass Venlafaxin gegebenfalls die Wirkung von Tamoxifen mindert. Ich würde Sie bitten, noch einmal mit ihren Ärzten Rücksprache zu halten.“ Es sei ihm aufgefallen, weil es seiner Mutter bei ihrer Therapie auch so erging.

Aus der Rücksprache wurde eine erneute Schleife mit meiner Psychologin und Frauenärztin. Parallel ging ich wegen meiner Polyneuropathie als Kontrolle zu meiner Neurologin. Da ich an meinen Händen und Beinen zusätzlich Nervenschmerzen hatte, erzählte ich ihr von diesen neuen Nebenwirkungen. Diese empfahl mir Pregabalin und meinte, ich solle dies wiederum mit meiner Psychologin absprechen, die in der Zwischenzeit „Escitalopram“ als neuen Vorschlag herausgesucht hatte. So vergingen die Tage und Wochen. Und parallel lief ich jeden Tag zur Bestrahlung und zählte die Tage rückwärts.

Leukopenie

In der Mitte der Strahlentherapie hatte ich einen weiteren nervlichen Zusammenbruch. Auslöser war die „frohe“ Botschaft, dass meine AHB auf Föhr genehmigt wurde, wo ich eigentlich nur als dritte Priorität hinwollte. Somit saß ich weinend vor meiner Radiologin und konnte mich kaum beruhigen. Ich sagte ihr, dass ich mich mehr selber nicht mehr verstehe: „Aber ich würde seit Wochen nicht mehr richtig schlafen können und mich auch in meiner Haut nicht mehr richtig wohl fühlen. Schlimm wären vor allen Dingen das ständige Frieren, obwohl es draußen fast 30 Grad hatte. Dazu käme eine absolute Erschöpfung. Und dazu hatte ich Blasenschmerzen, die seit fast 2,5 Monaten nicht mehr weggehen würden. Und gefühlt würde mir jeder nur sagen, ich müsste Geduld haben, dabei wüsste ich einfach nicht mehr, wie ich noch die letzten 3 Wochen der Bestrahlung überstehen sollte.“

Anscheinend kam meine Botschaft an. Die Radiologin veranlasste ein großes Blutbild. Und siehe da, meine Leukozyten hatten sich auf einen Wert von 1,7 eingependelt. Der Normbereich liegt bei 4 – 10.  Ab 0,5 muss man ins Krankenhaus, denn dann besteht quasi kein Immunschutz mehr. Drei Wochen nach der letzten Chemo hatte der Wert noch bei 2,7 gelegen. Weitere 5 Wochen später, noch vor der Bestrahlung, war der Wert weiter abgesackt. Und anscheinend hatte sich dieser Wert während der Strahlentherapie auch nicht mehr erholt. Bei zwei weiteren Blutabnahmen pendelte er weiter zwischen 1,7 und 2,1 auf und ab. Bei einer weiteren Kontrolle mit meiner Radiologin erzählte ich dann von dem neuen Ergebnis und von der Empfehlung meiner Hausärztin, dass ich nun die Strahlentherapie einfach abwarten sollte, denn dies könnte auch einfach an der Bestrahlung liegen.

Urologie

Parallel schickte mich die Radiologin wegen der Blasenschmerzen noch zu einem Urologen. Dieser nahm eine Urinprobe, überwies mich an ein MRT und schickte mir nach einer Woche ein Rezept für ein Antibiotikum zu.  In dem Brief befand sich noch ein Zettel, auf dem mir ein Ureaplasma diagnostiziert wurde. Kein Anruf erfolgte dazu. Ich musste mir ersteinmal ergoogeln, was ich mir da eingefangen hatte. By the way: Ureaplasma ist eine Art Geschlechtskrankheit, die man sich einfangen kann, wenn das Immunsystem nicht mehr richtig funktioniert. Auch ohne Geschlechtsverkehr. Aha.

In der Zwischenzeit wurde dann noch ein MRT gemacht, was zum Glück nichts ergab. In der Zwischenzeit versuchte ich einfach bei mir zu bleiben, was mir mal mehr und mal weniger gelang. Ich versuchte nicht zu googeln, kein Social Media mit anderen Krebsgeschichten zu lesen und mir immer wieder zu sagen:

Alles wird gut!

Dann fragte ich wieder bei meiner Frauenärztin nach, ob es Sinn machen würde, das Antibiotikum zu nehmen und warum sie diese Diagnose nicht bei ihren Urintests von mir erfasst hatte. Sie war leider auf einer Fortbildung. Es rief mich dazu ihre Vertretung an und meinte, es sei eigentlich umstritten, bei Ureaplasma Antibiotika zu nehmen. Ich soll lieber viel trinken. Bei der ganzen Verwirrung rief ich dann doch noch einmal beim Urologen an, denn es stand noch die zweite Impfung in der gleichen Woche an. Auf die Frage, ob es Sinn machen würde, Antibiotikum zu nehmen und mich dann noch ein zweites Mal impfen zu lassen, wenn das Immunsystem völlig am Boden ist, hörte ich nur: „Das ist kein Problem!“

Hämatoonkologe

Meine Radiologin hielt das Abwarten für keine gute Idee. Im Nachinein erfuhr ich, dass mein Zustand im Team der Radiologen besprochen wurde. Ich erinnerte wohl an den Fall einer anderen Patientin. Als ich nach dem Wochenende zu meiner letzten Bestrahlungswoche erschien, sollte ich noch einmal zu meiner Radiologin zum Gespräch kommen. Sie hatte mir einfach einen Termin beim Hämatoonkologen vereinbart.

Einen Tag vor dem Ende der Bestrahlung saß ich dann in der HOPA, bei einem sehr netten Arzt, der mir noch einmal Blut abnahm und mir eine Blutimmunspritze gab, damit meine Leukozyten angeregt werden sollten. Zusätzlich wurde eine weitere Urinprobe genommen und mein Blut in ein weiteres Labor geschickt, um es auf Infektionen und Blutkrankheiten zu überprüfen. Er versprach mir, mich vor dem Wochenende noch anzurufen.

Die zweite Covid Impfung verschob ich nach einer weiteren Absprache mit meiner Hausärztin noch einmal um eine Woche. da auch der Hämatoonkologe dazu geraten hatte.

Warten auf die Ergebnisse

Leider kam kein Anruf vor dem Wochenende. Um mich ein wenig abzulenken, fuhr ich spontan auf die Halbinsel Eiderstedt. Eine Freundin hatte dort ein Ferienhaus gemietet und mich eingeladen. Nachdem ich das Gefühl hatte, dass die Immunspritze mich etwas gestärkt hatte, fuhr ich los. Leise hoffte ich auch, ein wenig ins Meer hüpfen zu können.

So fuhren wir dann nach Sankt Peter Ording. Während alle Menschen im FKK Bereich ohne Klamotten rumliefen, fing ich an, mich immer mehr anzuziehen. Meine Schüttelfrostanfälle gingen einfach nicht weg. Sehnsüchtig blickte ich auf das Meer. Ein paar Surfer versuchten vergeblich an einer Stelle ein paar Wellen zu bekommen, doch diese waren nicht hoch und lang genug. Es blieb beim sogenanten „Verzweiflungssurfen“ und ich sagte mir, dass ich wenigstens nichts verpasste. Überhaupt im Meer zu schwimmen, schien auch in weiter Ferne.

Das Wochenende war zum einen wunderschön und zum anderen einfach sehr anstrengend. Die Hitze machte mir zu schaffen. Mein Körper schien einfach keine Temperaturen mehr ausgleichen zu können. Und parallel versuchte ich nicht an die Ergebnisse der Blutuntersuchung zu denken.

Alles gut – oder auch nicht.

Drei Tage nach dem Wochenende kamen endlich die Ergebnisse und damit die Entwarnung. Die Zeit bis dahin schien wie eine Ewigkeit. Man konnte zum Glück nichts finden. Zum Beispiel hatte man das Blut auf eine Leukämie untersucht. Auch in der Urinprobe wurde nichts mehr gefunden. Der Hämatoonkologe führte die ganzen Beschwerden auf die Therapie-Nebenwirkungen zurück. Somit stand auch der zweiten Covid Impfung nichts mehr im Wege, die ich ohne jegliche Nebenwirkungen überstanden habe. Allerdings soll bei mir nach zwei Wochen ein Antikörpertest gemacht werden, da es sein kann, dass mein Immunsystem überhaupt nicht darauf reagieren konnte.

Nachdem ich ein Wochenende ohne Hitzewallungen und Schüttelfrost in der Datscha einer Freundin verbringen durfte, und zum ersten Mal endlich schwimmen war, ohne zu frieren, sind die Hitzewallungen seit gestern wieder zurück. Leider auch das Frieren. Ich versuche es mit mehr Bewegung, war heute endlich mal wieder laufen. Und ab morgen probiere ich ein neues pflanzliches Mittel aus. Ich gehe weiterhin zur Akupunktur. Und hoffe auf die AHB auf Föhr. Diese Woche steht eine weitere Blutkontrolle aus. Mal sehen, was meine Leukozyten sagen.

Wie sieht die perfekte onkologische Betreuung aus?

Die letzten 3 Monate nach der Chemotherapie habe ich versucht mit meiner Psychologin zu reflektieren. Sie meinte, ich erwecke selbst in extremen Situationen noch den Eindruck, als wäre ich noch stark genug.

Ich habe da meine Zweifel, denn schließlich hat die Radiologin ja auch bemerkt, dass bei mir das Fass schon längst übergelaufen war. Vielleicht hätte ich einfach noch mehr sagen müssen, dass ich nicht mehr kann. Durch den Übergang von Chemo und OP zur Strahlentherapie ist für mich eine Lücke entstanden, bei der keiner meiner Ärzte gefühlt den Überblick behalten hat. Zusätzlich stellte ich mich dann bei einer neuen Onkologin vor. Auf meine Frage, wer denn nun ganzheitlich für mich zuständig wäre, verwies auch sie auf meine Frauenärztin und empfahl mir Geduld zu haben. Vielleicht hätte ich da schon sagen müssen, dass meine Geduld am Ende war. Auch meiner Frauenärztin hätte ich danach nochmal sagen müssen, dass mich die Temperaturschwankungen zu sehr mitnehmen und darauf beharren müssen, einmal alle meine körperlichen Beschwerden zu besprechen.

Dennoch habe ich ein paar offene Fragen:

  1. Warum musste ich mich fast 2 Monate lang quälen, bis bei mir physisch und psychisch nichts mehr ging?

  2. Warum wird man nicht von einem Onkologen von Anfang bis zum Ende der Therapie betreut?

  3. Nach der Chemotherapie und OP überwies mich das Brustzentrum an meine Frauenärztin. Auch wenn die Frauenärztin, Hausärztin und Psychologin in einem Ärztehaus sitzen, warum hat erst die Radiologin die Dringlichkeit meiner Situation erkannt?

  4. Warum wird das Blut nicht regelmässig bis zum Ende der Bestrahlung von einer Stelle kontrolliert?

  5. Wie kann man wieder Resilienz aufbauen, wenn alle Akkus leer sind?

In den letzten 3 Monaten kam es mir vor, als würden bei mir selber alle Informationen zusammenlaufen, als ich von einem zum anderen Facharzt gerannt bin. Mit meiner Hausärztin habe ich nun besprochen, dass ich mit ihr ersteinmal alles bespreche, da meine Frauenärztin schwer für mich erreichbar ist. Eventuell schaue ich mir nach der AHB nochmal einen neuen Onkologen an. Es bleibt weiterhin spannend. Bis dahin mache ich das, was ich gelernt habe: Nicht aufgeben und hartnäckig für mich selber einstehen. Und deutlich sagen, wenn es mir nicht gut geht, auch wenn mein Äußeres etwas anderes signalisiert.

Tipp: Ärztliche Betreuung

  1. Nicht abwimmeln lassen
  2. Nicht aufgeben
  3. Blutuntersuchungen aufbewahren
  4. Deutlich sagen, wenn nichts mehr geht
  5. Lieber 5 Mal nachfragen
  6. Mitdenken und kritisch hinterfragen
  7. Atmen und reflektieren
  8. Auf sein Bauchgefühl hören

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