Nach der Reha ist vor der Reha
Nach dem langen Warten auf die AHB waren meine Erwartungen an die Rehabilitation wohl etwas unrealistisch. Von Föhr kam ich eher angeschlagen als erholt zurück nach Hause – allerdings mit einer wichtigen Erkenntnis.
Kein Klinik-Review
Eigentlich wollte ich schon während der Reha einen Artikel über die AHB in der Klinik Sonneneck auf Föhr schreiben. Und dann kam doch alles anders. Über ein halbes Jahr später komme ich nun endlich dazu, ein wenig meine Gedanken aufzuschreiben und diesen Blog zu aktualisieren. Während der AHB hatte ich erst keine Lust und dann wurde auch noch die Klinik einen Monat später für immer geschlossen. Es erschien mir unsinnig, einen Bericht über eine Reha Klinik zu verfassen, die es mittlerweile nicht mehr gibt. Mit einem kleinen Abstand, fügt sich jedoch der Reha Aufenthalt mit wichtigen Erkenntnissen in meine Erholungsphase ein.
Ursprünglich hatte ich gedacht, ich würde viel früher in die AHB kommen und könnte dann ab Oktober ’21 wieder mit dem Arbeiten anfangen. In anderen Erlebnisberichten schienen auch alle anderen an Brustkrebs erkrankten Frauen wieder rechtzeitig in ihren Beruf einsteigen zu können. So dachte ich, würde es bei mir auch laufen. Aber nicht nur die Gürtelrose machte mir da einen Strich durch die Rechnung, sondern auch meine eigenen Erwartungshaltungen. Dass die AHB keine Wunder vollbringen kann und dass die Erholung auch viel mit der eigenen mentalen Belastung zusammenhängt, wurde mir erst im letzten halben Jahr klar.
Ankommen auf Föhr
Mit meinem Fahrrad kam ich nach einer wunderschönen sonnigen Anreise bei bestem Wetter auf der Insel Föhr an. Da ich unbedingt mein eigenes Fahrrad mitnehmen wollte, hatte ich einen neuen Rucksack gekauft und ein schmales Gepäck gepackt. Die Fährüberfahrt alleine hat schon richtig gute Laune gemacht und ein kleines Urlaubsgefühl stellte sich ein. Im Nachhinein würde ich jedoch das Gepäck anders lösen. Die Preise für den Fahrradverleih auf der Insel waren so günstig, dass man sich auch gut ein Fahrrad auf der Insel hätte ausleihen können. Dafür war die Schlepperei mit dem Rucksack, bei meinen durch die Bestrahlung und Gürtelrose angegriffenen Rippen, doch zu viel. Ich kann daher nur empfehlen, den Gepäckservice der Reha-Kliniken zu nutzen.
Die schon sehr in die Jahre gekommene Klinik Sonneneck empfing mich zunächst mit einem kurzen Corona Test und ersten Aufnahme-Untersuchungen. Das gute Sommerwetter machte jedoch ersteinmal alles wieder gut. Der Strand war voll mit Strankörben und die kleinen Beach Clubs luden zum Verweilen ein. Mit ein paar kleinen Einkäufen und Handgriffen, versuchte ich es mir gemütlich zu machen und fand auch gleich am ersten Abend das Klavier zum spielen.
Das Essen
Mit ein bisschen Phantasie ließ sich auch das Essen in der Klinik etwas pimpen. Nach einem Einkauf im Reformhaus und Rossmann, besorgte ich mir noch ein paar Lebensmittel, wie zum Beispiel ein leckeres Omega3 Öl für den Salat und das Müsli am Abend. Für das Frühstück musste ich mir erst eine „Verordnung“ von meiner Ärztin besorgen, damit ich einfach eine Schale mit Porridge bekam. Nach all den Monaten während der Therapie und meinem sehr diszipliniertem Essen, hatte ich am Anfang so meine Mühe. Alles, was ich mir über Ernährung angelesen hatte, schien in der Klinik nicht so wichtig zu sein. Auch wenn es einen Ernährungsplan mit Punktesystem gab, so musste die Klinik beim Essen sparen. Das Personal war sehr bemüht auch kleine Sonderwünsche zu erfüllen. Aber vielleicht war ich durch meine eigene Ernährungsumstellung etwas extrem geworden. Nachdem ich mich jedoch eingelebt hatte und wusste, wo ich frisches Obst und vegane Speisen herbekomme, so kam ich nach ein paar Tagen auch ganz gut klar.
Durch Corona war auch in der Klinik Essen in drei Schichten angesagt. So saß man sich zu zweit an einem Tisch mit einer Glasplatte dazwischen gegenüber. Das hatte zumindest den Vorteil, dass man immer wieder mit neuen Mitpatienten ins Gespräch kam. Am dritten Tag saß mir eine nette Frau aus Köln gegenüber, mit der ich mich sehr gut verstand. Wir kamen über das Surfen ins Gespräch und schmiedeten den Plan für einen gemeinsamen Windsurfkurs.
Die Anwendungen
Die Anwendung, die mir am meisten Erholung gebracht hat, war schlicht und ergreifend das Meer. Manchmal konnte ich zwischen den Programmpunkten oder vor dem Frühstück einfach mal ins Meer hüpfen. Je nachdem, ob das Meer gerade da war. Denn Föhr liegt mitten im Wattenmeer ist ist somit sehr von den Gezeiten abhängig. Zum ersten Mal kamen mir meine Hitzewallungen und Frierattacken weniger schlimm vor. Ich führe es auf den Kontakt mit dem Wasser zurück. Auch wenn das Schwimmbad der Klinik geschlossen war, so konnte ich zumindest in den ersten zwei Wochen der Reha fast jeden Tag ins Meer. Danach wurde es merklich kühler. Mein letztes Abbaden für das Jahr fand dann an einem der letzten Tage im September statt.
Die Anwendungen der Klinik waren ansonsten ein gutes Standardprogramm. Mir wurde es jedoch immer wieder langweilig. Positiv hervorzuheben war neben einem Physiotherapeuten, der mir gezeigt hat, wie ich auch selber Lymphdrainage machen kann, auch eine Yogalehrerin und die Tanztherapeutin. Nordish Walking und ich wurden auf jeden Fall keine Freunde.
Ich fühlte mich oft unterfordert und das stellte sich im Nachhinein aber auch als ein Teil meines Problems dar.
Ich fing an, mich in meiner Freizeit selber zu beschäftigen. Oder dachte, es sei eine gute Idee, die Gewichte bei den Kraftübungen immer wieder zu erhöhen, machte Fahrradausflüge über die Insel. Ich würde rückbetrachtend sagen, dass ich nicht nur durch die Krebstherapie, aber auch durch die Gürtelrose, am Ende ziemlich psychisch belastet gewesen bin. Und vor allen Dingen mein Körper und mein Geist sich nicht mehr im Einklang miteinander befanden. Ich merkte dies auch bei meiner Ärztin an und bat um ein Gespräch mit einer Psychologin. Da es nur zwei Therapeutinnen in der Klinik gab und ich der Tanztherapeutin zugewiesen war, musste ich zwei Wochen auf das erste Gespräch warten, da diese im Urlaub war.
Kunst und Musik auf Föhr
Eigentlich wollte mir meine Ärztin keine Kunsttherapie verordnen. Sie meinte, da ich als Designer und Coach vom Fach sei, könnte dies eventuell mich nicht genügend berühren. Ich konnte sie am Ende doch überzeugen und durfte daher zweimal am Programm teilnehmen. Hier versuchte ich mein Thema „Körper und Seele“ ein wenig in Einklang zu bringen. Die beiden Nachmittage im Garten des kleinen Nebenhauses haben mir Freude gebracht und ich konnte für mich kleine Erkenntnisse mitnehmen – und mich meinen Zwischenräumen nähern. Ich denke, gerade meine Kunstanaloge Coaching Ausbildung hat mir am Ende dann doch geholfen, auch in der Kunsttherapie einen Zugang zu meinen Themen zu finden. Und vor allen Dingen auch ein wenig Ruhe zu finden, was mir in den den drei Wochen grundsätzlich etwas schwer fiel.
Vor der Reha hatte ich, als ich mir selber für die Gürtelrose im Michel eine Kerze anzünden wollte, einen kleinen besonderen Moment verspürt. Während ich dem Orgelspiel in der Andacht lauschte, dachte ich, warum lerne ich nicht selber dieses tolle Instrument? Da ich jahrelang schon Klavier spiele, so wollte ich mich auf Föhr während meiner AHB mal versuchen, dem Thema zu nähern. Ich schrieb also die Nikolaikirche in Wyk an und fragte, ob mir jemand mal die Orgel erklären könnte. Der Organist, gleichzeitig auch der Mann einer Mitarbeiterin von der Urlauberseelsorge Föhr, hat sich daraufhin bei mir gemeldet und sich bereit erklärt, mir die Orgel vorzustellen. Und da die Urlauberseelsorge kleine „Gute Nacht Kirchenabende“ während der Sommermonate durchführte, so überredete ich zwei weitere Mitpatientinnen mit mir in die Kirche zu gehen. So konnte ich mir mal die Orgel anhören und wir saßen zu dritt in der kleinen Andacht und freuten uns über den kleinen Sonder-Ausflug mitten unter der Woche. Der Organist gab mir neben der Einführung in die Orgel auch sehr wertvolle Tipps, wie ich zu Hause in Hamburg an einen Orgelunterricht kommen würde. Zusätzlich steckte eines Abends, während ich mal wieder am Klavier saß, eine Mitpatientin ihren Kopf in den kleinen Aufenthaltsraum rein. Es stellte sich heraus, dass sie eine Organistin aus Düsseldorf war. Wir kamen ins Gespräch und sie ermunterte mich unbebedingt mit dem Orgelspielen anzufangen. Ihre Botschaft an mich: „Organisten braucht das Land“.
Diese Erlebnisse hatten zunächst nichts mit dem Reha Programm der Klinik zu tun, stellten sich aber im Nachhinein als einen wichtigen Teil meiner Genesung heraus. Ich habe nochmal mehr gemerkt, wie wichtig mir die Musik in meinem Leben ist, und wie sehr mich diese emotional berührt und mir Halt gibt. Und wie wichtig es ist, auch in Krisen immer wieder bei sich zu bleiben.
Surfen
„Surfen? Dieses Jahr wird das nichts mehr bei Ihnen.“ So richtig wollte ich die Aussage der Ärztin nicht hören. Vielleicht wäre es besser gewesen? Aber auf der anderen Seite, war der Windsurfkurs bei der Nieblumer Wassersportschule eines meiner Highlights. Am ersten Wochenende folgte ich also Birgit zum Windsurfen nach Nieblum. Etwas unsicher, ob das eine richtige Entscheidung war, radelten wir zur Surfschule ins Nachbardorf. Mit der Schule vereinbarten wir, dass wir zu jeder Zeit den Einführungskurs hätten abbrechen können, wenn es für uns zu viel gewesen wäre. Es stellte sich zudem heraus, dass die Mutter des Inhabers, die die Kurse organisierte, auch schon merfach in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt war und somit Verständnis für unsere Situation hatte. Am Ende machten wir den kompletten Kurs über drei Einheiten mit.
Es tat so gut, mal wieder einen Neo anzuziehen. Nachdem ich nach der Therapie vor allen Dingen mit Frierattacken zu kämpfen hatte, war es für mich eine wichtige Erfahrung, dass ich es trotz des Kältegefühls geschafft habe, wieder mit einem Neoprenanzug ins Wasser zu gehen. Auch die Fortbewegung, wenn auch sehr langsam, auf dem Wasser war ein schönes Erlebnis. Zwar ist Windsurfen eine ganz andere Sportart als das Wellenreiten, aber es hat trotzdem sehr viel Spass gemacht. Einzig allein das Hochziehen des Segels war für meine Rippenproblematik nicht besonders förderlich. Ich würde es jedoch immer wieder tun. Allein die Zeit zusammen mit Birgit auf unseren kleinen Sonderausflügen zum Surfen nach Nieblum möchte ich nicht missen.
Zu viel Sport?
In der Woche vor der Abreise hatte ich dann endlich zwei Sitzungen mit der Tanztherapeutin. Die Sitzungen hatten es ziemlich in sich und gingen mir sehr nahe. Mir sind Themen und Verhaltensmuster deutlich geworden, die mir vorher nicht klar waren.
Kurz gesagt, ich habe eine Tendenz mich immer wieder zu überfordern und somit meine Grenzen nicht klar zu kennen. Schwierig wird es dann, wenn Körper und Geist nicht synchron sind.
Nach dem letzten Wochenende in der Reha wachte ich dann auf und konnte mich auf einmal nicht mehr richtig bewegen. Ich hatte das Gefühl, ich konnte nicht richtig durchatmen. Irgendetwas fühlte sich eingeklemmt an. Auch die Rippenschmerzen, die sich erst wie Muskelkater angefühlt hatten, waren schlimmer geworden und mein rechter Arm tat ziemlich weh. Am Wochenende hatte ich auch nochmal die halbe Insel mit dem Fahrrad umrundet. So meldete ich mich zwei Tage vor Abfahrt nochmal im Arztzimmer.
Zuhnächst versuchte mich einer der Physiotherapeuten einzuränken. Danach ging garnichts mehr. Die Behandlung war so schmerzhaft, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Mir war schleierhaft, wie ich nach Hause kommen sollte. Allein der Gedanke, mein Fahrrad mit dem schweren Rucksack nach Hause zu bekommen, stresste mich maximal. Ich versuchte noch ein Päckchen von der Insel nach Hause zu schicken, um das Gewicht zu reduzieren. Am Tag vor der Abreise konnte mich wenigstens mein Lieblingsphysiotherapeut noch etwas mobilisieren. So konnte ich irgendwie die Heimfahrt antreten. Zu allem Überfluss war der Abreisetag auch noch mein Geburtstag. Eine Verlängerung konnte die Klinik nicht möglich machen. Dazu waren alle Plätze wegen Corona ausgebucht. Die Klinik hatte keinen Spielraum.
Zusätzlich hatte die Klinikleitung allen Mitarbeitern einen Tag vor Abreise, die Schließung der Klinik verkündet. Die Stimmung war bei allen Mitarbeitern ziemlich gedrückt. Jeder fragte sich, wie es sein kann, dass eine Reha Klinik nicht wirtschaftlich betrieben werden kann.
So fuhr ich an meinem Geburtstag nach Hause. Mental und vor allen Dingen physisch ziemlich angeschlagen. Meine lieben Mitpatientinnen, die auch an dem Tag nach Hause fuhren, und mit denen ich mich angefreundet hatte, hatten mir noch ein kleines Geburstaggeschenk besorgt. Und zum Glück feierten Abends meine engsten Freunde noch ein wenig meinen Geburstag mit mir. So konnte ich auch gut wieder zu Hause angekommen. Allerdings mit einem Koffer voll mit offenen Baustellen. Und einer kleinen Hoffnung, dass es doch irgendwann mal alles wieder gut werden würde.