Ein langer Weg
16 Chemos später oder wenn Körper und Seele nicht mehr mögen. Am Ende zählt man nur noch runter. Noch vier, noch drei, noch zwei, noch eins.
Wenn das Fass überläuft
Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer wird. Als das Bild oben entstanden ist, vier Wochen vor Ende, hätte ich beinahe aufgegeben. Dabei waren es nur noch 4 Chemos. Wenn man denkt, dass eine Nebenwirkung halbwegs unter Kontrolle ist, so kommt einfach am nächsten Tag die Nächste angeschlichen. Zu diesem Zeitpunkt war es einfach eine Nebenwirkung zu viel. An den Beinen hatten sich juckende Bläschen gebildet, so dass ich nachts nicht mehr schlafen und tagsüber nicht mehr spazieren gehen konnte. Um mich halbwegs noch „normal“ zu fühlen, zog ich konsequent meine Perücke zum Spazierengehen auf. Das Gesundwerden schien mir einfach unerreichbar. Wahrscheinlich lag es auch am Schlafentzug, dass ich nicht mehr klar denken konnte und mein Spiegelbild mit meinem Körpergefühl nichts mehr gemeinsam hatte.
Oder es lag einfach an der Summe aller Nebenwirkungen, die mich an meine körperlichen und mentalen Grenzen gebracht haben. Dabei muss man sagen, dass jede Frau anders damit umgeht. Manche Frauen kommen ganz gut durch die Therapie und manche scheinen besonders unter den ganzen Nebenwirkungen zu leiden. Ein und denselben Weg gibt es nicht.
Vielleicht war auch mein Einstieg in die Chemotherapie etwas holprig, da ich im letzten Moment noch von einem anderen Brustkrebszentrum ins Mammazentrum vom Jerusalem Krankenhaus wechseln konnte und am Tag vorher noch eine Armthrombose festgestellt wurde. Meine Kräfte waren auf jeden Fall am Ende und meine Heulattacken machten mir selber Angst. Wichtig ist dabei, sich dafür nicht zu verfluchen und sich mit seinen Bedürfnissen so zu akzeptieren.
Ich habe wohl fast alles mitgenommen, was ich so mitnehmen konnte:
Auf den Körper hören
Nach der vorletzten Chemotherapie setzen dann auch noch Kribbeln und Taubheit in den Händen und Füssen ein. Ich hatte mir wohl eine Polyneurophatie, eine Nervenschädigung, die besonders bei den letzten 12 Zyklen von Paclitaxel entstehen kann, zugezogen. Dabei hatte ich immer brav während und nach der Chemo-Infusion meine Hände und Füsse gekühlt, eine klare Empfehlung meiner Onkologin, um die Nervenenden zu schützen. Doch leider hatte dies am Ende eine Nervenschädigung nicht verhindern können.
Kurz vor der Zielgeraden stand dann nun erneut die Frage im Raum, ob ich die letzte Chemotherapie überhaupt noch machen sollte. Meine Neurologin empfahl mir ein klares „Besser wenn nicht“. Ich entschied mich nach Absprache mit meiner Onkologin für eine kleine Pause. Der OP Termin stand fest. Es war daher kein Problem auch nochmal drei Wochen abzuwarten, ob es wieder etwas besser wird.
Doch alles in diesem Moment fühlte sich falsch an: das Aussetzen, die Pause, das vorzeitige Aufhören aber auch das Weitermachen.
Wenn ich eines in den letzten Monaten gelernt habe, dann das: innehalten, atmen und auf meinen Körper hören.
Der Weg heilt alle Wunden
Und wenn mir eines geholfen hat: dann das tägliche Raus an die frische Luft und Bewegung.
Nach einer Pause von drei Wochen, ein paar Antihistaminika Tabletten gegen den Ausschlag und den Juckreiz und einer angefangenen Ergotherapie, habe ich dann doch die letzte Chemo überstanden. Die Angst, nicht alles getan zu haben, um dem Krebs durch alle Chemos ein Garaus zu machen, und mit diversen Gesprächen mit meiner Frauenärtzin, meiner Onkologin und meiner Psychotherapeutin, haben mich doch dazu gebracht, das volle Programm durchzuziehen. Trotzdem war es gut, kurz vorm Ende einmal anzuhalten und abzuwägen, was das Beste für mich ist.
Jetzt ist Zeit für die Heilung. Die Hände fühlen sich immer noch doof an. Das Nasenbluten hat endlich ein Ende gefunden. Der Darm ist immer noch verwirrt. Die Abhängigkeit von Omeprazol macht keinen Spass. Aber zum Glück sind die Chemos ersteinmal vorbei und der Körper darf sich jetzt seine Zeit nehmen, um sich zu erholen. Welche Möglichkeiten zur Heilung bei den einzelnen Nebenwirkungen bestehen, darauf werde ich in einzelnen Blogartikeln eingehen.
Die letzten Monaten waren geprägt von vielen verschiedenen Emotionen. Als Surferin musste ich schon häufig feststellen, dass man das Surfen nicht erzwingen kann. Vielmehr geht es um den eigenen Umgang mit der Natur und das Beobachten des Meeres und der Gegebenheiten. Ich musste häufig daran denken, wenn ich gezwungen war, Pausen einzulegen, auch wenn ich noch so gerne, einfach eine nach der andere Chemos hätte durchziehen wollen. Aber am Ende hilft es dem Körper nicht, über die Gernzen einfach hinwegzugehen. Es zeigt sich nochmal mehr, wie wichtig ist, auf sich und seine Bedürfnisse zu hören.